- Mai 2024
- Von Corinne Schindlbeck (Markt&Technik)
- Presse
Arbeitsmarkt in der Embedded-Industrie
Jetzt ist die Zeit, gute Leute zu bekommen
Diskussionsrunde auf der embedded world 2024, moderiert von Nadja Eder.
Wie gehen Unternehmen mit dem Fachkräftemangel um, wie sieht der aktuelle Arbeitsmarkt aus? Auf der embedded world fand eine Podiumsdiskussion zum Arbeitsmarkt in der Elektronikindustrie statt. Das Ziel der Veranstaltung war es, konkrete Lösungsansätze gegen den Fachkräftemangel zu diskutieren.
Ein kurzes Update aus universitärer Sicht und Bestandsaufnahme zu Beginn gab es von Prof. Dr.-Ing. Peter Fromm von der Hochschule Darmstadt. Als er vor 15 Jahren seine Arbeit als Professor begonnen habe, studierten rund 300 Studierende pro Jahr das Fach Elektrotechnik – mehr oder weniger mit Jobgarantie: »Die Unternehmen haben wirklich jeden eingestellt, der von der Universität kam«, so Fromm.
Heute tummelt sich mit rund 50 nur noch ein Sechstel in den Vorlesungen. Es ist also schwerer als früher, den Nachwuchs für E-Technik zu gewinnen. Und ihn bei der Stange zu halten, das zeigen unverändert hohe Abbruchquoten von bis zu 50 Prozent – »eine Katastrophe«, kommentiert Fromm.
Um die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes steht es aktuell allerdings auch nicht zum Besten – eine Folge der wirtschaftlichen Flaute und des Auftragsrückgangs auch in der Elektronik. Selbst für Masterarbeiten dauern die Bewerbungen aktuell deutlich länger, hat Fromm beobachtet.
Die Langzeitprognose ist unverändert gut: »26 Prozent der Babyboomer sind älter als 55«, zitiert Fromm neue Zahlen des ZVEI. Über ein Viertel der Beschäftigten muss also demnächst ersetzt werden, weil sie in den nächsten zehn Jahren aus der Elektro- und Digitalindustrie ausscheiden und in den Ruhestand gehen werden. Daher sei die wirtschaftliche Flaute aktuell ein guter Zeitpunkt für Unternehmen, sich gute Leute zu sichern – da ist sich das Podium einig.
Doch wie wird man als Arbeitgeber sichtbar? Wie sehen kreative Wege aus, Mitarbeiter für sich zu gewinnen?
Etabliert und daher zu empfehlen ist die Zusammenarbeit mit Hochschulen. Leopold von Schlenk-Barnsdorf von UnternehmerTUM, einer Gründerschmiede der TU München, kann sich über mangelndes Interesse von beiden Seiten nicht beklagen. »Wir führen verschiedene Entrepreneurship-Bildungsprogramme durch – sowohl für Bachelor, Master als auch Doktoranden und Postdocs«, so Schlenk-Barnsdorf.
Dabei arbeiten diese Studierenden in konkreten Anforderungsprojekten von etablierten Unternehmen mit, beispielsweise Phoenix Contact. Drei bis sechs Monate lernen sich die jungen Leute und die Unternehmen auf diese Weise kennen. »Wir sehen relativ oft, dass Festanstellungen daraus werden«, so Schlenk-Barnsdorf.
Internationale, englischsprachige Programme ziehen zahlreiche internationale Studierende an, berichtet auch Hochschulprofessor Fromm. »Ohne jegliches Marketing hatten wir mehr als 1500 Bewerber in der E-Technik für das nächste Wintersemester – etwa fünfmal so viele, wie wir aus Deutschland anziehen.« Etwa 80 Prozent dieser internationalen Studierenden bleiben laut Fromm tatsächlich in Deutschland. Um sich diese Klientel zu sichern, braucht es allerdings die Bereitschaft, Integrationsarbeit zu investieren. Und ggf. Abstriche bei den Deutschkenntnissen zu machen. Auch duale Studiengänge, bei denen Studierende parallel zum Studium im Unternehmen arbeiten und bezahlt werden, seien eine beliebte Möglichkeit.
»Unternehmen, die sich da beteiligen, sind an den Universitäten sichtbar«, so Fromm, und hält das vor allem für KMUs für einen gangbaren Weg, um Talente zu gewinnen.
Schwieriger ist es für Hidden Champions, den Wettbewerb auch beim Gehalt zu gewinnen. Größere Unternehmen böten oft einfach mehr Geld an, um sich die Studenten zu sichern. »Das hat einige in den letzten Jahren etwas verwöhnt, wenn ich die Verträge sehe«, sagt Fromm.
Damit müsse man nun umgehen: Ein guter Absolvent im Raum München – »egal ob Bachelor oder Master« – könne mit etwa 60.000 Jahresgehalt starten. Im ländlichen Raum mit entsprechend niedrigeren Lebenshaltungskosten seien es nur etwa 45.000 bis 50.000. Doch auch das sei schon eine Steigerung, »vor drei Jahren waren 45.000 noch typisch«, sagt Fromm. Für einen sehr spezialisierten Software-Ingenieur habe ein Münchner Unternehmen 86.000 geboten – und keine einzige Bewerbung bekommen.
Teures Isar-Valley
Fortec kennt dieses »Isar-Valley«-Gehalts- und Fachkräfte-Verfügbarkeitsproblem nur zu gut – und hat auch aus diesem Grund laut CEO Sandra Maile kürzlich eine F&E-Niederlassung in Kairo eröffnet.
Man müsste die grundsätzliche Stabilität des Elektronikmarktes mit Blick auf die hiesigen Talente stärker betonen. »Die Elektronikindustrie war immer ein bisschen unsexy im Vergleich zum Automobilmarkt – dafür aber interessant für neue Mitarbeiter, die einen stabilen und sich schnell entwickelnden, dynamischen Markt schätzen.«
Wie bekommt Swissbit seine Fachkräfte? Rund 450 Beschäftigte arbeiten hier weltweit, die meisten in Mitteleuropa. Die aktuelle leichte Abkühlung am Arbeitsmarkt sei jetzt eine sehr gute Gelegenheit einzustellen, »wenn man es sich leisten kann«, sagt Personalvorstand Chris Schwarze.
Hoch im Kurs ebenfalls bei Bewerbern: das Homeoffice, die Möglichkeit, nicht jeden Tag ins Büro zu müssen. Das registriert nicht nur Nadja Eder in so ziemlich jedem ihrer Kandidatengespräche. Dass Unternehmen wie etwa Swissbit sich längst darauf eingestellt haben und flexibel in verschiedensten Formen anbieten, erhöht den Wettbewerb für Präsenz-Verpflichter zusätzlich.
Fortec hat bereits vor Covid mit einer Richtlinie für hybrides Arbeiten begonnen und jetzt im Einsatz. Mit der Niederlassung in Kairo werde Remote-Arbeit nun weiter ausgebaut und Entwicklungspakete dorthin abgegeben. »Und wir boten auch bereits Jobs komplett remote an«, so Maile. Aber ehrlicherweise habe man auf drei solche Angebote letztes Jahr kein Feedback erhalten, »keinen Bewerber«. Man müsse also weiterhin kreativ sein und vieles »einfach ausprobieren. Dann werden wir sehen, ob es funktioniert oder nicht.«
Remote-Arbeit böte die Chance gerade für kleinere Unternehmen, Fachkräfte – auch ausländische – zu bekommen, die »sie sonst vielleicht nicht bekommen würden«, sagt Schlenk-Barnsdorf. Schwarze: »Am besten, Sie sind aufgeschlossen und lassen die Leute möglichst so arbeiten, wie sie es mögen.« Und das kann manchmal eben auch im Büro in der Firma sein.
Quelle Text: Markt&Technik
Quelle Bild: Sandra Maile (rechts) mit Moderatorin Nadja Eder (Messe Nürnberg / Thomas Geiger)
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