
- Dezember 2019
- Von Corinne Schindlbeck, Markt&Technik
- Presse
Homeoffice gegen Fachkräftemangel
Was müssen Ingenieure heute und in Zukunft können, welche Profile sind derzeit am Markt besonders gesucht und was bringen Master und Promotion? Das und mehr diskutierte eine Expertenrunde im Rahmen der »Accelerating Talents« auf der productronica, moderiert von Markt&Technik.
Die Nachfrage nach hardwarenahen Software-Entwicklern ist ungebrochen. »Es wird heute einfach viel mehr in Software abgebildet als noch vor fünf oder sechs Jahren. Wir sehen einen starken Mangel an Informatikern und Ingenieuren im Bereich Embedded-Programmierung in C++. Extrem gesucht sind auch Leistungselektroniker und HF-Experten, Analog-Ingenieure und Software-Entwickler in jeder Form, etwa als Projektmanager«, erklärt Personalberater Michael Köhler von SchuhEder Consulting. Das entsprechende Personal sei aber leider bei Weitem nicht in ausreichender Form und Zahl vorhanden.
Den Trend kann Holger Schötz bestätigen. Als Personalleiter und Mitglied der Geschäftsleitung bei Rohde&Schwarz beschäftigt ihn vor allem der Nachwuchs aus dem Bereich der HF-Technik: »Immer mehr Software statt Hardware auf der Produktseite führt dazu, dass Spezialisten hier rar sind.« Deshalb sei man froh, dass Universitäten wie die TU München vor Ort sehr hochwertig ausbilden, aber in Summe bräuchte man eben mehr.
Der mittelständische Elektronikdienstleister Steca Elektronik aus Memmingen ist ein paar Nummern kleiner Rohde&Schwarz und wird von Nachwuchssorgen geplagt. Allein jemanden mit Elektronik-Background zu bekommen, sei schon anspruchsvoll, beklagt Personalleiter Michael Lupbrand. Richtig schwer werde es mit Extra-Wünschen, »etwa einen Elektronikeinkäufer ‚mit Einkaufsgen‘ finden zu wollen.
Wie passt dieser Zustandsbericht zu den aktuellen konjunkturellen Verwerfungen? Gerade erst veröffentlichte der VDI Zahlen, wonach der Ingenieurarbeitsmarkt im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahresquartal mit einem Minus von 4,9 Prozent deutlich abgekühlt habe. Elektroingenieure sind davon offenbar selten betroffen, das erklärt Michael Köhler von SchuhEder Consulting am Beispiel der sich transformierenden Automobilindustrie: »In bestimmten Mechanik-Bereichen, ja. Aber Elektroingenieure sind relativ save!« ADAS und autonomes Fahren erfordere so viel Engineering-Mannstunden, »die können heute schon nicht genügend abgedeckt werden«. Und auch die Elektromobilität brauche zusätzliche Elektroingenieure. Mit ein wenig Flexibilität, beruhigt Köhler, könne ein Ingenieur da bestehen.
Bekommt Michael Lupbrand von Steca durch die konjunkturelle Verschnaufpause jetzt mehr Bewerbungen? »Wir bemerken gar keine Abkühlung der Wirtschaft. Auch keinen verstärkten Zulauf an Bewerbungen aus dem Elektronikfachbereich bei Ingenieuren und Fachkräften«, muss Lupbrand passen. Auch Rohde&Schwarz bemerke keine Abkühlung, erklärt Holger Schötz. Und selbst wenn, »dann würden wir als langfristig denkendes Familienunternehmen mit Blick auf die Zukunft trotzdem einstellen.«
Langfristig als Stichwort – wie sieht die Runde klassische Ingenieursarbeit und das Berufsbild des Ingenieurs? Muss man sich anpassen? Holger Schötz sieht massive Veränderungen, Ingenieure bräuchten heute mehr Systemverständnis als früher, da Produkte immer stärker vernetzt, immer mehr eingebettet seien. Das bedeute, dass der Ingenieur sich nicht mehr allein auf ein Produkt konzentrieren, sondern immer auch den Gesamtsystemkontext verstehen müsse, »das merken wir mehr und mehr«.
Lernt man das schon an der Uni? Ein früher Kontakt mit der Praxis sei schon hilfreich, findet Schötz: »Studierende mit Praktika parallel zum Studium haben einen Vorteil«. Schötz selbst sei sogar ein Fan davon, zunächst mit einer Ausbildung zu beginnen und anschließend auf dem zweiten Bildungsweg zu studieren: »Weil man mit fachlicher Erfahrung in der Praxis das Studienwissen ganz anders verarbeiten kann«. Ingenieuren rät er, Veränderungen anzunehmen, mit jeder lerne man etwas dazu und diese Flexibilität lebenslang beizubehalten. »Die Ausbildung endet nicht an der Hochschule«.
Auch Michael Lupbrand rät Studierenden zu einer frühen Verknüpfung von Theorie und Praxis, »so bekommt man ein Verständnis für Systeme«, stimmt er Holger Schötz zu. Das gelte im Übrigen auch für Nicht-Akademiker: »Berufserfahrung und Praxisphasen schätzen wir sehr«.
Für André John sind diese beiden gleichlautenden Standpunkte nicht überraschend, »fast alle Mitgliedsunternehmen melden uns zurück, dass Praxisrelevanz wichtig ist und schätzen das duale Studium oder ein Studium nach der Ausbildung«. Was noch? Solide Grundlagen in Mathe und Physik seien enorm wichtig und eine gewisse Disziplin und Fähigkeit, sich neue Anforderungen immer wieder zu erschließen, interdisziplinär und im Team, so John. Spezialkenntnisse könne man nachschulen, dazu sei aber eine feste Grundierung in der Disziplin wichtig. Soft Skills hin oder her, »das lässt sich nicht gegen einander ausspielen, es muss beides funktionieren«. Mit Blick auf die hohen Studienabbrecher-Quoten in Elektrotechnik kann Michael Köhler dem nur beipflichten: »Wenn ich die Grundfähigkeiten nicht habe, nützt alle Sozialkompetenz nichts: Mathe, Physik, Technik und Mechanik sind wichtig, um ein Systemverständnis haben zu können«. Neben einer allgemeinen Affinität für Technik müsse jeder Hardwareingenieur ein gehöriges Maß an Softwareverständnis haben und umgekehrt.
https://www.elektroniknet.de/karriere/arbeitswelt/homeoffice-gegen-fachkraeftemangel.172193.html
Quelle: Markt&Technik 50/2019, elektroniknet.de
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