- Dezember 2023
- Von Birgitta vom Lehn (FAZ)
- Presse
Interview in der FAZ
Kann ich aufsteigen, ohne Chef zu werden?
Gerade in technischen Berufen haben viele Menschen keine Lust mehr darauf, Führungsrollen mit Personalverantwortung zu übernehmen. Sie möchten lieber inhaltlich arbeiten als managen. Was tun?
Karriereziel Chef? Von wegen. Gerade in technik-affinen Berufen hat die Managementposition mit Personalverantwortung talentierte Tüftler noch nie sonderlich gereizt. Zu groß war die Gefahr, das eigentliche Fachwissen aufgeben und stattdessen Management-Techniken einzustudieren zu müssen. Junge Leute ticken sowieso anders. Laut einer repräsentativen Umfrage der Wirtschaftsjunioren Deutschland (WID) wünscht sich nur noch etwa die Hälfte der 1012 Befragten zwischen 15 und 25 Jahren die Möglichkeit zur Führungsverantwortung. Weiter vorn rangieren gute Verdienstmöglichkeiten (81 Prozent), gute Work-Life-Balance (74 Prozent), abwechslungsreiche Tätigkeiten (71 Prozent), Relevanz für die Arbeitswelt von morgen (62 Prozent), positives Image sowie gesellschaftlicher Sinn und Zweck des Berufs (je 55 Prozent).
Die Unternehmen haben auf die veränderten Bedürfnisse, insbesondere die nachlassende Lust auf Personalverantwortung, aber schon eine interessante Antwort gefunden: die so genannte Expertenkarriere. Dahinter verbirgt sich eine Laufbahn ohne Personalverantwortung, die fachlich hochqualifizierten Mitarbeitern die Möglichkeit bietet, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln, ein höheres Einkommen zu erzielen und langfristig dann doch auch in eine Führungsrolle hineinzuwachsen. Im Gegensatz zu früher ist der Aufstieg jedoch nicht mit der Abwendung von der bisherigen Tätigkeit verbunden.
Die neue Laufbahn zielt vor allem auf Ingenieure, ist aber auch in anderen Bereichen möglich. So berichtet Assaf Greisman, Leiter Reward Management and International Executive Regulations bei der DB Cargo AG, dass in seinem Unternehmen mehr als 120 verschiedene Stellen für die Fachexpertenkarriere identifiziert und im Anschluss deren Stelleninhaber in das Karriereprogramm aufgenommen worden seien. Die DB-Fachexpertenkarriere sei vergangenes Jahr offiziell eingeführt worden.
Karriere machen für Technikbegeisterte
Doch besonders Ingenieure, die bis dato für ihre Technik-Begeisterung lieber auf eine Karriere mit Personalverantwortung verzichtet haben, sollen durch den alternativen Aufstiegsweg im Unternehmen gehalten und motiviert werden. Zugleich sollen sie für Technik-Studenten ein Vorbild sein, denn viele technische Talente wandern in betriebswirtschaftliche oder juristische Studiengänge ab, da ein Großteil der Führungspositionen in Unternehmen mit ehemaligen BWL- oder Jura-Studenten besetzt sind.
Im Bereich der Elektronik habe das Modell der Expertenkarriere in den letzten Jahren stark zugenommen, berichtet Renate Schuh-Eder, Geschäftsführerin der SchuhEder Consulting GmbH in München. “Spannenderweise passiert auch generell ein gesellschaftlicher Wandel: so viele wollen gar nicht mehr ‘Manager’ werden. “Früher sei Manager gleichbedeutend mit mehr Status, mehr Geld und mehr Sonderleistungen gewesen. “Das hat sich geändert”, sagt die Beraterin.
Die Expertenkarriere sei “sehr attraktiv” für die entsprechenden Mitarbeiter, findet Schuh-Eder. “Sie entwickeln sich weiter in Senior-Rollen, übernehmen mehr Verantwortung, und das Finanzielle passt auch.” Tendenziell sei es auch so, dass das Management mehr und mehr ausgedünnt werde. “Der Experte aber, der sich regelmäßig adäquat weiterbildet und mit der Zeit geht, hat immer eine Chance auf viele Job-Möglichkeiten. Im Management ist die Luft da schon eher dünn.” Auch im Mittelstand finde die Expertenkarriere daher immer mehr Gehör. “Die Unternehmen müssen halt findig sein, das bringt auch der Fachkräftemangel mit sich.
“Führen durch fachliches Vorbild”
Dass Mitarbeiter sich nicht mehr entscheiden müssen zwischen Fachwissen und Führung sei ein großes Plus, findet Schuh-Eder. “Ein Entwicklungsingenieur hat keine Lust, Leute zu managen, und ein Vertriebsingenieur will auch nicht seine selbstbestimmte Tätigkeit für eine Führungsrolle aufgeben. Übrigens: Führen kann man schließlich auch durch fachliches Vorbild.”
Hinzu komme, dass es gerade in ihrem Beratungsumfeld der schnelllebigen Elektronik-Branche oft keinen Weg zurück zur Technik gegeben habe für die Ingenieure. Das Motto “Einmal Manager, immer Manager” habe viele vor einem möglichen Aufstieg abgeschreckt. Deshalb hätten beispielsweise in der Elektronikindustrie Technik-Experten bisher eher darauf verzichtet, Karriere zu machen, weil dies gleichbedeutend mit der Übernahme von Personalverantwortung und -führung gewesen sei. Dazu hatten viele keine Lust.
Gezielte und flexible Mitarbeiterentwicklung
Beim Münchner Autobauer BMW setze man seit 2019 auf die Expertenkarriere, sie habe das Karriereverständnis erweitert, erläutert Hans-Peter Ketterl, Sprecher Personal und Vorstandsmitglied der BMW Group. Dabei habe es sich allerdings gar nicht um ein komplett neues Konzept gehandelt, denn, so Ketterl: “Wir leben schon seit vielen Jahren das Management ohne Führungsverantwortung. ” Mit der offiziellen Einführung 2019 sei dann “die seit langem gelebte Praxis in Form von konkret ausformulierten Entwicklungskonzepten und einer breiten internen Kommunikation manifestiert worden”.
Die Expertenkarriere gilt bei BMW genau wie bei der DB Cargo unternehmensweit und ist nicht auf ausgewählte Fachbereiche oder Qualifikationen beschränkt. Das erlaube eine gezielte und flexible Mitarbeiterentwicklung – je nach persönlichen Entwicklungszielen der Mitarbeiter und Anforderungen des Unternehmens. “Mitarbeitende der Zukunftsfelder interessieren sich heute stärker für moderne Arbeitswelten und kooperative Formen der Zusammenarbeit als für eine klassische Führungslaufbahn mit disziplinarischer Verantwortung”, erläutert Ketterl. “Gleichzeitig fordern Zukunftstechnologien hohes Fachwissen und neue Formen der Zusammenarbeit.” Auf diese Anforderungen sei die Expertenkarriere als gleichwertiger Karriereweg zugeschnitten.
Die entsprechend hohe Nachfrage spiegle sich auch in der Anzahl der Expertenfunktionen im außertariflichen Bereich wider. Aktuell seien ungefähr die Hälfte aller Management-Funktionen in der BMW AG Expertenfunktionen. Diese Mitarbeiter genießen die volle Zeitsouveränität als Benefit. Dahinter steht die Idee des ergebnisorientierten Arbeitens. Auch die Anzahl der jährlichen Urlaubstage ist hier nicht mehr festgelegt. Die Mitarbeiter entscheiden selbst, wie viele Tage sie pro Jahr nehmen wollen. Sie seien allerdings angehalten, den gesetzlichen Mindesturlaub zu nehmen.
Die einzelnen Vergütungskomponenten – Fixgehalt, variable Komponente, Betriebsrente, Dienstwagen und andere Benefits – sind für Führungskräfte und Experten bei BMW grundsätzlich vergleichbar. Für einen Spitzenexperten bestehe sogar die Perspektive auf eine höhere Vergütung.
Quelle: FAZ.net 22.11.2023
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