- Dezember 2023
- Von Corinne Schindlbeck (Markt&Technik)
- Gehälter, Presse
Auswertung Gehaltsformel
Warum die Gehälter trotz Auftragsrückgang gut bleiben
Hier und da gibt es Bremsspuren am Ingenieurarbeitsmarkt. Doch die Lage bei Unternehmen der Productronica ist weiterhin stabil, auch wenn in Bereichen wie EMS-Dienstleistung, Elektronikproduktion und Automatisierung vereinzelt von Kurzarbeit, kompletten Projektstopps oder gar Liquiditätsausfällen die Rede ist. Welche Auswirkungen das auf die Gehälter hat, erklärt Personalberaterin Nadja Eder von SchuhEder Consulting, offizieller Karrierepartner der Productronica.
Markt&Technik: Wie ist der Status quo am Arbeitsmarkt zur Productronica und welche Auswirkungen hat dieser auf die Gehälter?
Nadja Eder: Definitiv ist der Arbeitsmarkt bei Unternehmen der Productronica weiterhin stabil. Dennoch: der ZVEI hat ja gerade neue Zahlen gemeldet: Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie verzeichnete im September 2023 einen Auftragsrückgang von 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das betrifft auch und gerade die Bereiche EMS-Dienstleistung, Elektronikproduktion und Automatisierung. Wir wissen vereinzelt von Unternehmen in Kurzarbeit, von kompletten Projektstopps, von Liquiditätsausfällen. Selbstverständlich hat dies Auswirkung auf die Gehälter, u.a. bedingt durch geringere Boni-Zahlungen und Gewinnbeteiligungen und natürlich auf von Kurzarbeit betroffene Mitarbeiter. In Bezug auf die Gehälter von Neueinstellungen sehen wir aber keine Veränderungen.
Das bedeutet, es wird nach wie vor zum marktüblichen Preis eingestellt. Warum?
Unternehmen haben in der Regel Gehaltsstrukturen. Also marktübliche Spannbreiten an Gehältern, je nach Tätigkeit, Anforderungen und Erfahrung. Auch wenn die wirtschaftliche Lage aktuell herausfordern ist, stellt kaum jemand außerhalb dieser Strukturen ein. Das rächt sich sonst. Warum? Weil man zumeist nur schwer jemanden für unterdurchschnittliche Gehälter einstellen kann, und solche Einstellungen meist auch nicht nachhaltig sind. An den Gehaltsstrukturen zu rütteln, ist also absolut nicht zu empfehlen.
Was bedeutet das für sogenannte Wechselprämien? Wieviel Prozent plus kann man verlangen?
Wir sehen in unseren täglichen Gesprächen mit Arbeitnehmern unserer Industrie kaum, dass jemand wechselt, nur weil er mehr Geld verdienen will. Wir haben in diesem Jahr keine einzige Einstellung gehabt, bei der es über 25 Prozent Gehaltserhöhung gab. Manchmal gab es sogar gar keine Verbesserung des Gehalts, sondern ein Wechsel auf ähnlicher Ebene. Im Übrigen raten wir auch schon mal von einem Wechsel ab, wenn der- oder diejenige marktüblich bezahlt wird und auch sonst alles passt. Manche aus unserer Sicht überzogenen Gehaltsvorstellungen rücken wir im persönlichen Gespräch zurecht, weil sie mit den tatsächlichen Skills und Fähigkeiten und unserem Wissen, was vergleichbare Positionen verdienen, oft nicht übereinstimmen.
Und danach fühlt man sich nicht mehr unterbezahlt?
Wer sein Gehalt in Relation erklärt bekommt, kann es eher als fair empfinden. Für einen Jobwechsel gibt es eine Fülle an Gründen und Motivatoren. Es ist immer der gesamte Blumenstrauß an Kriterien, der betrachtet werden muss. Das zeigt ja auch unsere Gehaltsformel der Elektronik: von Unternehmenskultur über Regionalität, Firmenimage, Innovationen oder auch finanzielle Sicherheit des Arbeitgebers. Das Gehaltsthema ist dem manchmal untergeordnet – sofern es im marktüblichen Rahmen liegt.
Welche Stellen sind aktuell besonders gesucht?
In den letzten Jahren lag ein starker Fokus auf dem Bereich Supply Chain, die Lieferfähigkeit stand sozusagen über allem. Inzwischen sehen wir, dass Profile, die in Richtung des – künftigen – Kunden ausgerichtet sind, stark gesucht werden. Der Kunde steht noch mehr im Mittelpunkt. Das bedeutet, dass strategische Schlüsselpositionen häufiger ausgeschrieben sind. Also Business Development oder Vertrieb zum Beispiel.
Aktuelle Auswertungen berichten allerdings von Bremsspuren am Arbeitsmarkt. Die Zahl der offenen Jobs für Ingenieure ist aktuell kleiner geworden.
Ja, branchenübergreifend auf jeden Fall! Für unsere Branche in der Elektronik und Elektrotechnik fällt dies aber nicht wirklich ins Gewicht. Der Arbeitsmarkt hat sich von einem sehr hohen Niveau auf ein hohes Niveau »verkleinert«. Als Tech-Ingenieur hat man immer noch sehr, sehr gute Aussichten in unserer Branche und mehr als genügend potenzielle Jobangebote.
Sind die Anforderungen gestiegen? Was erwarten Rekruter von Bewerbern?
Die Anforderungen an Bewerber gehen einher mit aktuellen Entwicklungen. Als Top-Kriterien neben der fachlichen Expertise bezeichne ich die Fähigkeit, das aktuelle schnelle Tempo der Kunden mitgehen zu wollen und zu können, gerade im Bereich EMS. Und natürlich die Digitalisierung. Sie erfordert nicht nur die Fähigkeit, die sich schnell verändernden IT-Systeme nutzen zu können. Es braucht auch Menschen, die die nötige Veränderungsbereitschaft mitbringen, um ein Unternehmen gut weiterentwickeln zu können und künftige Geschäftsmodelle zu adaptieren. Gesucht ist insgesamt also eher nicht der Typus »Verwalter«, der ein bestehendes Geschäftsfeld ganz wunderbar ausfüllen kann. Sondern der- oder diejenige, die über den Tellerrand schauen wollen und können.
Was fällt aktuell auf bei den Gehältern in der Automatisierung, Elektronikproduktion und EMS?
Grundsätzlich gilt: der Tarif schlägt alles. Und Tarifgehälter werden hauptsächlich in Großunternehmen gezahlt, samt Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und Erfolgsbeteiligung. Hier auf der Productronica gibt es viele kleinere Unternehmen, die beispielsweise nicht nach Tarif bezahlen. Deswegen verdient man dort aber nicht automatisch »schlecht«. Es kommt darauf an, wie ich für mich ein »gutes Gehalt« definiere. Wenn ich in meinem Job glücklich bin, mein Arbeitgeber beispielsweise im direkten Nachbarort sitzt und es im Umkreis von unter 50 Kilometern auch keinen ähnlichen Arbeitgeber gibt, der meine Anforderungen erfüllt, dann relativiert sich auch ein üppiges Tarifgehalt. Ein adäquates Gehalt ist immer als Gesamtpaket zu betrachten! Als Personalberatung arbeiten wir das auch gerne im persönlichen Gespräch heraus.
Gibt es Unterschiede, ob man im Bereich Qualität, Produktion oder Entwicklung arbeitet?
Laut unserer Auswertung ist die Spannweite im Bereich EMS, Automatisierung und Elektronikproduktion sehr groß und reicht von unter 35.000 Euro Jahresgehalt bis zu wirklich hohen Gehältern von 200.000 Euro und mehr. Hier einen Mittelwert zu bilden, macht also keinen Sinn. Tendenziell verdient man, um ein Beispiel zu nennen, zum Einstieg in der Entwicklung einen Tick besser als im Qualitätsmanagement, was dann aber oft mit der Höhe der entsprechenden Ausbildung zu tun hat. Die Einstiegsgehälter und die für die ersten Jahre in der Entwicklung sind aus diesem Grund tendenziell höher als beispielsweise im Bereich Qualität. Im individuellen Gespräch können wir hier gerne eine Einschätzung abgeben – weil wir mit dem Gehaltsniveau der umliegenden Firmen vergleichen können. Unsere Empfehlung an unsere Kunden lautet daher auch immer, unbedingt marktübliche Gehälter zu bezahlen, am besten ein wenig über dem Schnitt. Wer deutlich weniger als der Markt zahlt, dem werden die Leute abgeworben, denn das spricht sich rum.
Ist die Spanne für Führungskräfte nach oben offen?
In einer hierarchisch orientierten Organisation verdient man tendenziell mit jedem Schritt hinauf auf der Karriereleiter mehr. Es gibt noch sehr viele Unternehmen, die dieses klassische hierarchische Denken haben. Dann ist es schwierig, dem Spezialisten mehr zu zahlen als seinem Chef. Da aber nicht jeder Spezialist Personalverantwortung möchte und auch kann, gibt es immer häufiger die Möglichkeit, die Fachkarriere einzuschlagen, die vom Prinzip der Management-Karriere gleichgestellt ist. Nur wird eben nach Skills bezahlt und nicht nach Hierarchielevel. Das bedeutet, man muss nicht mehr »Chef werden«, um mehr zu verdienen. Für Menschen, die sich als Spezialisten weiterentwickeln möchten, sind Arbeitgeber mit alternativer Fachkarriere zur Managementlaufbahn eine sehr gute Option.
Quelle: Markt&Technik 46/2023 (29. November 2023)
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